Sonntag, 24. Juli 2011

Nichts tut mehr weh, als den Menschen zu verlieren, den man liebt.

Ein wenig angestrengt vom Laufen trat sie in die Eingangshalle des Krankenhauses. Alles war so rießig gebaut, dass sie zu Anfang gar keinen Überblick hatte. Überall liefen alte Menschen mit einem Rollator herum, Besucher mit Geschenken und Krankenpfleger, sowie Ärzte. Das Mädchen hatte Krankenhäuser noch nie gemocht. Um ehrlich zu sein, hatte sie auch ein wenig Angst davor. Doch dies war nebensächlich. Suchend schaute sie sich um, in der Hoffnung einen Stationsplan zu finden. Ihre Mutter lag seit gestern Nacht hier. Sie ist gestürzt und hatte sich ziemlich stark am Bein, sowie am Rücken verletzt. Und jetzt wollte die rothaarige so schnell wie möglich nach ihrer Mum schauen. Doch es war weit und breit kein Schild zu sehen. Also entschloss sie sich dazu, einfach mal die Treppe zu nehmen, in der Hoffnung, sie würde auf die richtige Station treffen. Ein wenig zu eilig joggte sie die Stufen nach oben. Dies allerdings wurde ihr erst bewusst, als ein gut gebauter, blondhaariger Junge, welcher vielleicht 2 Jahre älter als sie war, gegen die 15-jährige stieß. Zum Glück konnte sie sich noch am Treppengeländer festhalten und somit einen schmerzvollen Sturz vermeiden. Auch dem Fremden war nichts passiert - das glaubte sie zumindest. »Tut mir wirklich leid«, brachte sie ein wenig stockend hervor. Herje, wie peinlich. Der Blonde lächelte ihr bloß zu, ging dann zur Seite um ihr den Weg freizumachen. »Wo möchte die Dame denn so schnell hin?«, fragte er sie schließlich. »Auf Station 6, meine Mutter liegt da«, gab sie ihm zur Antwort und stieg die letzten Treppenstufen nach oben. »Allerdings weiß ich nicht genau, wo das sein soll. Das ist mir hier alles viel zu groß", fügte sie leise lachend hinzu. Der fremde Junge kam ihr auf anhieb symphatisch vor, vorallem, weil so ein charmantes Lächeln seine Lippen umspielte. »Ich kann dich hinbringen«, schlug er dem rothaarigen Mädchen nun vor. Zu gern hätte sie gewusst, was in seinem Kopf wohl vorgehen würde. Er sah so glücklich aus, doch in seinen Augen war auch ein Hauch von Traurigkeit zu erkennen. »Das wäre nett.« Beide liefen sie nun den langen Flur entlang, zuerst schweigend, bis der 17-jährige sich wie selbstverständlich vorstellte. »Ich bin Lyon." Ein wenig dankbar darüber, dass er das Schweigen brach, sagte das Mädchen schließlich »Ich heiße Emily.« Kurz warf sie einen Blick auf die Klamotten des Jungen. Er schien hier kein Gast zu sein, seinen Klamotten nach. Eine Jogginghose, ein paar Hausschuhe und ein Shirt waren wohl nicht seine alltäglichen Ausgehklamotten. Auch seine Haare waren ein wenig verstruppelt, was dem rothaarigen Mädchen wirklich gut gefiel. Leider wurde sie wieder aus ihren Gedanken gerissen, als Lyon plötzlich »Hier ist es«, sagte. Kurz schaute Emily zur Tür, dann wieder zu dem Jungen. Sie wusste nicht, ob sie jetzt froh sein sollte, weil sie das Zimmer gefunden hatte oder doch eher traurig, weil sie sich jetzt von Lyon verabschieden müsste. Ja, es waren vielleicht gerade mal 10 Minuten, in denen sie mit ihm im Kontakt war, doch er hatte eine große Wirkung auf sie gehabt. Schon von Anfang an. Doch noch bevor sie ein Wort hervor bringen konnte, beugte er sich nach vorne um ihr einen Kuss auf die Wange zu geben. »Es war schön dich kennengelernt zu haben. Wenn du magst, kannst du mich mal besuchen kommen. Ich werde wohl noch länger hier festsitzen.« Zum Ende hin wurde seine Stimme immer leiser und sein Blick ging zu Boden. Unsicher schaute Emily zu ihm. War er etwa schwer krank? »Station 4 Zimmer 127.« Mit diesen Worten lief er davon, mit einem letzten Blick auf die Rothaarige, bevor er um die Ecke verschwand. Noch lange Zeit stand sie einfach so im Flur, dachte an die Worte, die der Blonde gesagt hatte. Sie konnte ihn nicht einschätzen. Zum einen hatte er durchgehend ein Grinsen auf dem Gesicht, doch dann war er plötzlich wie aufgelöst. Morgen würde sie ihn unbedingt besuchen! Und dies tat sie dann auch. Ihrer Mutter ging es schon wieder besser, sie  brauchte ab und zu ein wenig Hilfe, doch das meiste konnte sie schon wieder alleine machen. Und dies kam Emily gerade recht. So konnte sie länger bei Lyon bleiben. Jeden Tag lief die 15-jährige ins Krankenhaus, erst besuchte sie ihre Mutter, dann Lyon. Doch nie kam sie dazu ihn zu fragen, was er denn hatte. Warum er hier lag. Und wenn sie ihn dann doch fragte, sagte er nichts. Anscheinend wollte er nicht drüber reden. Und dies brachte Emily schwer zum nachdenken. Es waren einige Sachen, die ihr komisch vorkamen. Er lag nicht wie die anderen Jugendlichen auf der Kinderstation, nein. Er lag bei einer alten Dame im Zimmer. Er wurde von Tag zu Tag blasser und immer schwächer auf den Beinen, anstatt das es ihm besser ging. Auch seine wunderschönen blonden Haare schienen von Stunde zu Stunde weniger zu werden. Manchmal sah er sogar so aus, als ob er geweint hätte. Doch trotzdem hatten die Beiden großen Spaß zusammen. Sie erzählten sich viel, lachten zusammen und hatten sich sogar geküsst. Emily schien der glücklichste Mensch auf Erden zu sein. Nie hatte sie jemand so glücklich gemacht, wie Lyon. Als nun eine Woche vergangen war und sie wie üblich wieder auf seine Station ging, kam ihr eine Krankenschwester mit einem Bett entgegen. Es war abgedeckt mit einem Tuch. Tränen rannen der Schwester übers Gesicht. Unsicher lief die rothaarige weiter. Dann sah sie Lyons Eltern, welche gerade mit einem Arzt redeten. Sie hörte ein leises Schluchzen der Mutter. Was hatte das zu bedeuten? Die 15-jährige lief immer schneller, bis sie schließlich am Zimmer 127 ankam. Die Tür stand offen, Lyons Bett war weg, genauso wie er. Er wurde doch bloß entlassen, oder? Tränen stiegen dem Mädchen in die Augen. Wo war er? Warum weinte seine Mutter? Plötzlich spürte die 15-jährige eine Hand auf ihrer Schulter. Langsam drehte sie sich um, Tränen kullerten aus ihren Augen. Es war Lyons Vater. »Er hatte Krebs«, sagte er mit ruhiger Stimme. Es war wie ein Stich ins Herz, als er diese Worte aussprach. Jetzt war alles klar. Die ganzen Dinge, die Emily so komisch vorkamen, ergaben nun alle einen Sinn. Doch das durfte nicht wahr sein. Es durfte einfach nicht! Wieso hatte er ihr nie davon erzählt? Er sah doch immer so glücklich aus. Ohne ein Wort zu sagen stürmte sie aus dem Krankenhaus. Was sollte sie denn jetzt noch ohne ihn machen? Innerhalb der Woche war er ihr doch so wichtig geworden. Wie konnte er jetzt einfach weg sein? Das war doch nicht möglich. Niemals! Von diesem Tag an, schwor sie sich, jeden Tag sein Grab zu besuchen. Und auch von diesem Tag an begann sie Tagebuch zu schreiben. Immer wieder beschrieb sie ihre Gefühle, wie es ihr ging, ohne ihn. Das einzigste, was sie jetzt noch von ihm hatte war ein Bild. Der Rest waren Erinnerungen. Und Erinnerungen verblassen, bis sie schließlich ganz vergessen sind... (Selbstgeschrieben und frei erfunden.) Bildquelle: www.weheartit.com


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